Ein mächtiges Klanggemälde
22.04.2025 – Heiner Schultz, Gießener Anzeiger

Mit einer intensiven, rundum gelungenen Aufführung der Johannespassion von Johann Sebastian Bach in der Marienstiftskirche begann am Karfreitag das Osterfest. Das Haus war vollbesetzt, und der Beifall nach dem unter der Leitung von Christof Becker stehenden Konzert dauerte viele Minuten.
Kantor Becker hatte die traditionelle Fassung für Soli, Chor und Orchester von 1739/1749 gewählt. Die etwa zwei Stunden lange Aufführung, ein religiös fundiertes Werk und zugleich ein Riesenklanggemälde, begann mit dem Chor. Das klang zunächst etwas getragen, mit wirbeligen Unterströmungen, ein interessanter Start, dem ein stetiger Spannungsaufbau folgte, den bald die Solisten mittrugen. Zunächst trat Johannes Mayer als Evangelist in den Vordergrund. Er machte von Anfang an einen exzellenten Eindruck und glänzte mit intensivem Timbre, klarer Artikulation und emotionaler Interpretation. Auch Johannes Wilhelmi glänzte mit schöner Rundheit der Stimme und klarer Artikulation, ebenfalls ein Pluspol. Besonders attraktiv klangen die Beiträge Martina Nawraths, vor allem die Arie Nr. 32. Die trug sie mit feierlicher Schönheit vor, fast wie einen fröhlichen Gesang.
Gelungen war auch die Kooperation Johannes Mayers mit Johannes Wilhelmi, ebenso wie die mit Bassist Clarke Ruth. Der Kanadier, Mitglied des Sängerensembles am Stadttheater Gießen, glänzte mit herausragender Prägnanz und wunderbarer Festigkeit. Er und Nawrath verkörperten darstellerisch und stimmlich gemeinsam mit Mayer die Eckpfeiler der Produktion. Tabea Nolte trug einen schönen klaren Alt bei, der in Natürlichkeit und Klarheit nicht leicht zu übertreffen war.
Besonders gelungen war die Arbeit des ausgezeichnet vorbereiteten Chors, der mit Elan, herausragende Geschlossenheit und eindrucksvoller Sicherheit agierte. Hier wurden mit knackigen Einsätzen eindrucksvolle dramaturgische Schattierungen realisiert, denen man die Mühe der Aneignung gar nicht anmerkte - eine Glanzleistung auch von Kantor Becker.
Der dirigierte einmal mehr mit leidenschaftlicher Intensität, ließ keine Schattierung unbetreut und keine Stimmung ungeklärt. Und zwar mit unübersehbarer Leichtigkeit und Freude. Er ging ganz und gar in der Musik auf. Zudem ließ Becker die Ensemblepartien immer sorgfältig ausklingen und in die Ruhe gleiten, was die Intensität des Vortrags deutlich erhöhte.
Hervorzuheben ist auch die fast perfekte klangliche Synthese der Ensembles. Das bestens disponierte Orchester schuf einen gut ausgewogenen Barockklang; wobei die Flöten und Holzbläser besonders sensibel gelangen, für den Charakter einzelner, etwas empfindlicherer Passagen essenziell. So machte Becker den Charakter des Werks als minutiös ausgeführtes und emotional vielfältiges musikalisches Großereignis erfahrbar und leitete diese Energie besonders auf den Chor weiter. Vor dem Finale wurden noch einmal bemerkenswerte Kontraste gezeichnet; das Publikum lauschte konzentriert
Das facettenreiche Klangspektakel verfehlte seine Wirkung nicht und fand im Chorfinale seinen intensiven und stimmungsvollen, zugleich ausgewogenen Abschluss - insgesamt war es eine bemerkenswerte Produktion zum Osterfest.