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Mit großer Liebe zum Detail

22.04.2025 – Sascha Jouni, Gießener Allgemeine Zeitung

Johannes-Passion von Bach in Lich: Tenor Johannes Mayer gefiel in der Evangelisten-Rolle durch klare Vortragsweise. © Sascha Jouini

Eine hochrangige Aufführung der Johannes-Passion von Johann Sebastian Bach erlebten die zahlreichen Besucher am Karfreitag in der Licher Marienstiftskirche. Kantor Christof Becker leitete die Marienstiftskantorei, die Capella instrumentalis sowie das Solistenensemble voller Hingabe. Besonders das intime Klangbild der Barockinstrumente hatte es in sich, dazu zählten Viola d’amore und Gambe.

Lebhafte Wechsel von Soli und Chor

In den formalen Proportionen knapper gehalten als die Anfang April in der Gießener Petruskirche aufgeführte »Matthäus-Passion«, fesselten bei dem vermutlich zur Fastenzeit 1724 entstandenen Schwesterwerk ausgefeilte Spannungsbögen. Schon der Eingangssatz »Herr, unser Herrscher« ließ aufhorchen: Das Orchester erzeugte einen scheinbar unendlichen musikalischen Strom, dann trat der Chor hinzu.

Wirkte das zügige Tempo, das Becker hier wählte, eine Spur gehetzt, so gewann die Interpretation im Verlauf noch deutlich an Feinschliff. Tenor Johannes Mayer gefiel in der Evangelisten-Rolle durch klare Vortragsweise und hielt die Leidensgeschichte Christi plastisch vor Augen. Mitunter ergaben sich lebhafte Wechsel zwischen Soli und Chor, so in der zweiten Nummer. In den Rezitativen sorgte die dynamische, im Tempo flexible Gestaltung für vorantreibenden Schwung.

Bassist Johannes Wilhelmi verkörperte Jesus mit schlanker, aber ausdrucksvoller Stimme. Künstlerisch ebenso souverän Sopranistin Martina Nawrath, Altistin Tabea Nolte sowie der kurzfristig eingesprungene zweite Bassist Clarke Ruth.

In immer neuen Konstellationen unterstrich die Capella instrumentalis die farbige Begleitung. Traten in der Alt-Arie »Von den Stricken meiner Sünden« Oboen hervor, so waren es in der Sopran-Arie »Ich folge dir gleichfalls mit freudigen Schritten« Flöten.

Zuhörer lauschen gebannt

Im Ganzen war anzumerken, mit welcher Liebe zum Detail Becker das Werk einstudiert hatte. Da schienen Kontraste in den Chorälen und Chorsätzen bewusst ausgereizt und erhielten rhetorische Figuren ungeheure Prägnanz.

Bassist Clarke Ruth gab dem Jesus-Gegner Pilatus markante Züge. Eindrücklich zur Geltung kam die dramatische Zuspitzung des Geschehens. Wie im Turba-Chor »Wir haben ein Gesetz« die strenge Fuge das Gesetzmäßige symbolisiert, zeigte sich einprägsam.

Den Abwechslungsreichtum förderte das Ensemble unter der Leitung von Becker so spontan und intensiv zu Tage, als wäre die Passion eben erst entstanden. Die Besucher lauschten bis zum Schluss gebannt und dankten allen Mitwirkenden mit viel Beifall.